Akutes Koronarsyndrom
Starke Schmerzen im Brustbereich, die oft bis in Arme, Hals, Kiefer und Rücken ausstrahlen, deuten auf eine lebensbedrohliche Phase der koronaren Herzkrankheit (KHK) hin und erfordern unverzügliche medizinische Hilfe. Sieht der herbeigerufene Notarzt einen Hinweis auf eine Durchblutungsstörung des Herzens, stellt er meist die vorläufige Verdachtsdiagnose akutes Koronarsyndrom (ACS).1, 2
Solange die Ursache nicht eindeutig ist, können sich hinter der Verdachtsdiagnose akutes Koronarsyndrom eine instabile Angina pectoris, ein Herzinfarkt sowie zahlreiche weitere Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder nicht-kardiovaskuläre andere Erkrankungen verbergen. Zur zügigen Abklärung können Arzt und Notfallteam vor Ort oder im Rettungswagen ein EKG erstellen und im Idealfall das Krankenhaus schon unterwegs über das Ergebnis informieren.1, 3
Der akute Brustschmerz als typisches ACS-Symptom tritt oft zusammen auf mit Atemnot, Bauchschmerzen, Übelkeit und Schwindel, mit einem Engegefühl, blasser Haut und kaltem Schweiß. Betroffene, die älter sind als 75 Jahre, Frauen, Diabetiker und Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz oder Demenz haben zudem häufig völlig atypische Beschwerden.1, 4
Ausgelöst wird das akute Koronarsyndrom, wenn sich Blutgerinnsel (Thromben) in den empfindlichen Herzkranzgefäßen bilden, die Arterien verengen oder sogar verstopfen und so die Blutversorgung des Herzmuskels beeinträchtigen. Bei anhaltenden Durchblutungsstörungen droht ein Herzinfarkt.3
Häufigkeit und Vorkommen des akuten Koronarsyndroms
Sogenannte Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben sich infolge des ungesunden Lebensstils in den Industriegesellschaften stark verbreitet. Jedes Jahr sterben über 17 Millionen Menschen weltweit und mehr als 4 Millionen in Europa an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In Deutschland und den meisten Ländern Europas zählen Herz-Kreislauf-Erkrankungen zur Todesursache Nummer 1. Experten gehen davon aus, dass sie bis zum Jahr 2020 auch in den Schwellenländern Haupttodesursache sein werden.5, 6
Das akute Koronarsyndrom (ACS) ist eine gefährliche Komplikation der ihm zugrunde liegenden koronaren Herzkrankheit (KHK). Auch wenn die Sterberaten bei der koronaren Herzkrankheit in Nord- und Westeuropa im Laufe der vergangenen drei Jahrzehnte kontinuierlich gesunken sind, starben in Deutschland im Jahr 2010 immer noch mehr als 133.000 Menschen an der KHK. Trotz beachtlicher Fortschritte in der Akuttherapie müssen ACS-Patienten langfristig damit rechnen, ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden.6
Untersuchungsdaten aus der Praxis zeigen für ACS-Patienten eine Sterberate von rund 20 Prozent im Verlauf von fünf Jahren. Die Häufigkeit erneuter oder weiterer Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist bei diesen Patienten insgesamt hoch, trotz intensiver Nachbetreuung und Vorsorge (Sekundär-Prophylaxe).7
Das Herz – Motor unseres Körpers
Ein faustgroßer, rund 300 Gramm schwerer Hohlmuskel ist der Motor unseres Lebens. Das Herz pumpt Blut über die Arterien und Adern bis in die kleinsten Gefäße und versorgt den Körper so mit Sauerstoff und Nährstoffen. Bei einem Ruhepuls von 70 Schlägen pro Minute bewegt das Herz pro Schlag etwa 70 Milliliter, also pro Minute fast fünf Liter Blut. Bei körperlicher Anstrengung vervielfachen sich Herzfrequenz und Schlagvolumen. Das Herz eines Hochleistungssportlers kann durchaus ein Volumen von 30 Litern pro Minute umsetzen.8
Vorbote koronare Herzerkrankung
Das akute Koronarsyndrom bzw. der Herzinfarkt sind die schwerwiegenden Folgen einer Arteriosklerose, einer chronischen, also fortdauernden Veränderung der arteriellen Blutgefäße.
Risikofaktoren und Folgen
Ein Herzinfarkt oder ein akutes Koronarsyndrom entstehen dann, wenn sich an den arteriosklerotischen Plaques plötzlich ein Blutgerinnsel (Thrombus) bildet, das die Blutzirkulation und Sauerstoffversorgung in den Herzkranzgefäßen stört oder gar verhindert. Wenn die Durchblutungsstörung der Koronararterien andauert, sterben die betroffenen Herzmuskelpartien langsam ab. Das akute Koronarsyndrom entpuppt sich nun als Herzinfarkt und kann – untherapiert – zum plötzlichen Herztod führen.3, 4
Um die 300.000 Menschen erleiden jedes Jahr einen Herzinfarkt, und mehr als die Hälfte der Betroffenen (170.000) verstirbt dabei. Etwa jeder zweite Herzinfarkt-Patient ahnte nichts von seiner koronaren Herzkrankheit und hatte nie Angina-pectoris-Beschwerden.9
Patienten, die bereits einmal ein akutes Koronarsyndrom erlitten haben, leben mit dem hohen Risiko, langfristig ein weiteres kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden. Sie haben fünf Jahre nach der Entlassung aus dem Krankenhaus eine Sterberate von rund 20 Prozent.7
Häufige Risikofaktoren
Zu koronarer Herzkrankheit, akutem Koronarsyndrom, Herzinfarkt und anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommt es in der Regel aufgrund jahrelanger Kalk und Fettablagerungen in den Arterien (Arteriosklerose). Wie und wann sich eine kardiovaskuläre Erkrankung entwickelt, hängt vom individuellen Risikoprofil ab.
Herzinfarkt erkennen
Herzinfarkt-Patienten spüren meist plötzlich und aus heiterem Himmel einen starken, schmerzenden Druck hinter dem Brustbein, ringen nach Luft und haben Todesangst. Sie beschreiben dies mit dem Gefühl, ihnen werde der Brustkorb eingeschnürt. Der Brustschmerz hält länger an, kann auch stechend oder reißend sein und in den Bauch, in Arme, Hals und Kiefer, ja bis in Schulter und Rücken ausstrahlen. Übelkeit und Erbrechen, kalter Schweiß, fahle Haut treten oft hinzu.3, 9
Notfallmaßnahmen
Bei anhaltendem Brustschmerz oder anderen typischen Anzeichen eines Herzinfarkts benötigt der Betroffene sofortige medizinische Behandlung. Weil es nun auf jede Sekunde ankommt, bleibt keine Zeit, sich noch mit Verwandten, Nachbarn, Freunden oder dem Hausarzt zu besprechen.
Diagnose und Therapie
Akute Brustschmerzen können unter anderem auch auf ein Magengeschwür, ein Wirbelsäulensyndrom, eine Herzmuskelentzündung oder eine Lungenembolie zurückzuführen sein. Durch eine körperliche Untersuchung und gegebenenfalls bildgebende Verfahren wird der behandelnde Arzt deshalb solche Ursachen schnellstmöglich ausschließen.
Das wichtigste Instrument bei den ersten Diagnose-Schritten ist das Elektrokardiogramm (EKG). Innerhalb von zehn Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt sollte ein 12-Kanal-Ruhe-EKG erstellt werden. Ebenso wichtig ist eine sofortige Blutabnahme zur Bestimmung des Herzenzyms Troponin.
Das EKG erlaubt die Unterscheidung zwischen einem akuten Koronarsyndrom mit ST-Streckenhebung (STEMI) und einem ohne anhaltende ST-Streckenhebung (NSTE-ACS).
Im ersten Fall, wenn neben dem typischen Brustschmerz eine länger als 20 Minuten anhaltende ST-Streckenhebung vorliegt, ist von einem Herzinfarkt mit komplettem Verschluss einer Koronararterie auszugehen, der schnellstmöglich wieder geöffnet werden muss.1, 3
Stellt der Arzt die Verdachtsdiagnose NSTE-ACS, zeigt die Messung von Troponin im Blut an, ob es sich um einen Nicht-ST-Streckenhebungs-Herzinfarkt (NSTEMI) oder um eine instabile Angina pectoris handelt. Dank hochsensitiver Nachweismethoden kann nach drei Stunden eine zweite Bestimmung des Troponins einen Herzinfarkt mit fast hundertprozentiger Sicherheit aufdecken. Ziel von Behandlungsmaßnahmen ist es, die Mangeldurchblutung zu verringern und den plötzlichen Herztod zu verhindern.1, 11
ACS-Patienten werden umgehend in eine Klinik eingewiesen, idealerweise in eine Chest-Pain-Unit (CPU). Solche spezialisierten Einrichtungen sind darauf eingestellt, Patienten mit akutem Brustschmerz rund um die Uhr zu diagnostizieren und zu behandeln.1, 11, 14
Medikamentöse Therapie
Akute Behandlung
Schon der Notarzt wird einem Patienten mit akutem Koronarsyndrom (ACS ) blutplättchenhemmende Medikamente, Schmerz- und Beruhigungsmittel geben, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Um den Sauerstoffbedarf des Herzmuskels zu senken oder seine Sauerstoffversorgung zu verbessern, können sogenannte antiischämische Mittel wie Nitrate und ß-Blocker zum Einsatz kommen.
Herzkatheter
Im Anschluss an die medikamentöse Akut-Therapie werden weitere Maßnahmen eingeleitet, um die Diagnose zu verfeinern und die individuell beste Behandlungsstrategie zu finden. Hierzu gehören die Echokardiografie (EKG) als wichtigstes nicht-invasives Bildgebungsverfahren, die Herzkatheteruntersuchung (Koronarangiografie), Labortests und die Anwendung spezifischer Risikoskalen.9, 11
Referenzen
- Pocket-Leitlinie: Akutes Koronarsyndrom ohne ST-Hebung (NSTE-ACS) (Version 2015) : European Heart Journal, 2015 – doi: 10.1093/eurheartj/ehv320 Return to content
- Post F et al., Internist 2010; 51 (8): 953-962. Return to content
- Baer FM et al., in: Erdmann E, Klinische Kardiologie, Heidelberg 2011, S. 13–72. Return to content
- Reinecke H et al., in: Greten H, Innere Medizin, Stuttgart 2010, S. 40-61. Return to content
- WHO GLOBAL STATUS REPORT on noncommunicable diseases 2014, S. 16. Return to content
- EHN/ESC, European Cardiovascular Disease Statistics 2012, S. 10. Return to content
- Fox KAA, Carruthers KF, Dunbar DR et al. Underestimated and under-recognized: the late consequences of acute coronary syndrome (GRACE UK-Belgian Study). Eur Heart J 2010;31:2755–2764. Return to content
- Der Gesundheits-Brockhaus, Mannheim 1990, S.333, 340 Return to content
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- Schneider CA et al., in: Erdmann E, Klinische Kardiologie, Heidelberg 2011, S. 1–12. Return to content
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- BÄK, Deutsches Ärzteblatt 98, 18 (04.05.2001). Return to content
- Trappe HJ, in: Neues aus Kardiologie und Rhythmologie, Heidelberg 2009. Return to content
- Perings S et al., Kardiologe 2010; 4 (3): 208-213. Return to content